Ottokar von Kraft                  Rose und Lorbeer

 

Die Rose spricht: Ich bin die liebe Blume,

Ich bin die Lust, der Schmerz, das Licht, das Leben,

Nach mir mußt, Dichter, Blick und Hand du heben,

Willst eingehn du zu wahrem Menschentume!

 

Der Lorbeer spricht: Ich führ’ empor zum Ruhme,

Ich kann allein das große Schicksal weben,

Nach mir, der Menschheit Höchstem, mußt du streben,

Ich leit’ zu fernster Nachwelt Heiligtume!

 

Der Dichter spricht: Das neidlichste der Lose

Erwähl’ ich denn, die Krone alles Lebens!

Und nach dem Lorbeer greift er kühnen Strebens.

 

Das Schicksal spricht: Und dein ist auch die Rose!

Nur rosen-duftberauscht und –dornzerstochen,

Nicht anders wird des Dichters Reis gebrochen.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die beste Andacht

 

Bevor dein Haupt am Abend sinkt ins Kissen,

Versäume an dich selber nie die Frage:

was tat ich Gutes am verfloss’nen Tage?

Was hat mir vorzuhalten mein Gewissen?

 

War ich in reiner Fahrt beflissen?

Führt meinethalben niemand bitt’re Klage?

Verschönerte ich mein’ und femde Lage?

Ward reicher ich an Bildung und an Wissen?

 

Wenn jeder also täte stets und dächte,

Und täglich, nie der Einkehr überdrüssig,

Vor seinen eignen Richterstuhl sich brächte:

 

Dann wären Beicht’ und Kanzelpredigt müßig,

Und vor der Andacht, die allein die rechte,

Sänk’ Pfaff’ und Kirche hin als überflüssig.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das Allerschönste

 

Ich sah schon in den buntesten Gestalten

Die Arten all des Schönen dieser Welt;

Ich sah zur Nacht das hehre Sternenzelt,

Im Lenz der Knospe wunderzart Entfalten;

 

Ich schaute Ströme, die zum meere wallten,

Das Schneekryställchen, das zur erde fällt,

Den Blitz gewahrt’ ich, der die Nacht erhellt,

Ich hört’ ob meinem Haupt Gewitter schalten.

 

Ich sah und hört’ das Schöne jeder Art,

Und einem Glücklichen der Erdensöhne

Bleibt im Gedächtnis ewig das bewahrt.

 

Doch schöner fand ich nichts, denn Menschenschöne,

In jungen Angesichtern offenbart,

Und als die hehre Wundermacht der Töne.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Bei Festgelagen

 

Wenn bei Musik und schäumendem Pokal

Die Jugend sich vereint zu Festgelagen,

wenn laut die Gläser aneinander schlagen,

Und heller Jubel herrscht im ganzen Saal:

 

Dann fühlt die trunk’ne Seele jedesmal

In große Zeiten sich zurück getragen,

Sie träumt von Hellas’ lebenswarmen Tagen

Und von der Griechen Lust beim Bacchanal.

 

Dann schweifen meine Blicke in der Runde,

Bathyll’ und Smerdis such’ ich vor Verlangen,

Sie findend in den Schönsten aus dem Bunde.

 

Mit Griechenglut, halb geistig und halb physisch,

Versuch’ ich liebend mich an sie zu hangen,

Und voll des Gottes jauchz’ ich dionysisch!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Latmos meines Liebeslebens

 

Allabendlich, wann Helios heimgegangen

Und keusch Selene führt den Sternenreigen,

seh’ ich auf Latmos’ Höhn sie niedersteigen,

Wo süß der Liebste schläft in holdem Prangen.

 

Und über ihn mit heißem Liebverlangen

Seh’ ich die Göttin sehnsuchtsvoll sich neigen,

Und nur der Regen stört das heil’ge Schweigen

Der Küsse auf Endymions Mund und Wangen.

 

Auch meine Seele, ging der Tag zu Grabe,

Ersteigt ihr Geistes-Latmos gleich Selenen,

In wildem Fieberdurst nach Liebeslabe.

 

Doch dem Geliebten ruft sie dort vergebens!

Kein holder Schläfer winkt des Herzens Sehnen

Auf diesem Latmos meines Liebeslebens!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Freundschaft und Liebe

 

Wer nie, dem Freunde fern auf weite Meilen,

Nach ihm nur lenkte seiner Träume Flug,

Wer nie sein liebes Bild im Busen trug,

Im Geist wie zum Altar davor zu eilen;

 

Wem nie zu ihm ein Heer von Sehnsuchtspfeilen

Wie nach dem Süd entflog der Schwalben Zug,

Wem lauter nie das Herz im Glauben schlug,

Daß so der Freund im Geist mag bei ihm weilen:

 

Der hat der Freundschaft Gipfel nie gekannt,

Dem ward sie nur in flacher Allgemeinheit,

Nie hat er selig Liebe sie genannt.

 

Doch wer sie beide trug in ihrer Reinheit,

Der Liebe Kette und der Freundschaft Band,

Der weiß: In höchsten Sphären sind sie Einheit.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Einem bildschönen Knaben

                                                               E. S.

 

Ob Tag, ob Nacht, ob Sonnenschein, ob Regen,

Um dich durcheil’ ich alle Plätz’ und Gassen,

Um flüchtig wo ins Auge dich zu fassen,

Aufs neu’ dein süßes Bild mir einzuprägen.

 

An hundert Ecken steh’ ich deinetwegen,

Und kann und kann von meinem Tun nicht lassen,

Vor deiner Schönheit dürstet’s mich zu prassen,

So oft der Zufall mir dich führt entgegen.

 

Wenn meine Augen dich des Tags nicht schauten,

Vermögen sie des Nachts nicht zuzufallen,

Sie suchen schlaf- und schlummerlos den Trauten.

 

Und wenn sie sich an deinem Bild erbauten,

Muß noch im Traum zu dir ich pilgerwallen,

Wie nah dem gold’nen Vlies die Argonauten.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Was wir einander schenken

 

Was kann ich dir mit meiner Freundschaft geben?

So seufzest du aus tiefstem Herzensgrunde,

Als wir zum erstenmale, Mund an Munde,

Einander schwuren Treu’ und Lieb’ fürs Leben.

 

Und was kann ich wohl dir für Schätze heben?

So fragt’ ich dich in gleicher Feierstunde,

Als wir vereint in liebesel’gem Bunde

Und ich dein herz an meinem hörte beben.

 

Drauf du: Gib deinen Geist mir, gib Gedanken,

Daß meine Welt der deinen sich vermähle,

Erweit’re meines Wissens, Denkens Schranken!

 

Drauf ich: Nimm’s hin, nimm was du willst, erwähle,

Nur lehre du mich, mich emporzuranken

Zu reinen Höhn an deiner schönen Seele!

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Im höchsten Glücke

 

Hältst du umschlungen mich mit deiner Linken,

Ich mit der Rechten dich, mit ihr zu prunken,

Und läßt du so, von süßem Glücke trunken,

Dein liebes Haupt aufmeine Schulter sinken;

 

Betracht’ ich dann, mir hehrsten Rausch zu trinken,

dein schönes Aug’, erstrahl im Sehnsuchtsfunken,

Und stehn wir Schläf’ an Schläfe traumversunken,

Blind für der Erde Treiben, Locken, Blinken;

 

Dann, fühlend, was uns einzig könnte taugen,

weiß ich nur einen Wunsch mir ans Geschick,

Den gleichen, den ich les’ aus deinen Augen:

 

Töt’ uns sogleich! Laß uns im Nu versteinern

Zum Bild, denn schon der nächste Augenblick

Muß dieses Übermaß von Glück verkleinern!

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Der Lebenskuß

 

Böt’ mir ein Gott, mir einer Liebe Kuß

Durch ein paar Stunden meines Seins zu jagen,

Bis nimmer ich die Lust vermag zu tragen

Und an der Wonne Last verhauchen muß,

 

Mir auszurenken seinen Rauschgenuß

Zu einem Leben von nur vierzehn Tagen,

Und müßt’ ich dann der Erde Abschied sagen,

Und ging’ mein junges Leben dann zum Schluß;

 

Doch böt’ er mir, wollt’ ich auf dies verzichten,

Ich würde hundert Meisterdramen dichten,

Wovon das schwächste Shakespeare müßt’ vernichten:

 

Mir schüfe wahrlich nicht die Wahl Beschwerde;

Ich nähm den Kuß mit jauchzender Gebärde,

Und schied’ beglückt, der erste Gott der Erde!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Verneinung des Leidens

 

Ich kann nicht, wie’s so manche Menschen pflegen,

Mich wie in Watte wickeln in ein Leid;

Ich kann nicht trauern, weinen lange Zeit,

Nicht wie ein Kleinod meinen Kummer hegen.

 

Ich setze Trotz entgegen Schicksalsschlägen,

Der einzig uns von Schmerzes Last befreit;

Gen Leid und Unstern ist kein Mensch gefeit,

Doch im Verwinden liegt der Menschheit Segen.

 

So hass’ ich jeglich Schöntun mit dem Schmerz,

Und leid’ ich dennoch, ist mein ganzes Streben,

Aufs neue zu erleuchten mir das Herz.

 

Denn Leid verneint, entwertet unser Leben,

Verkleint, vermindert, zieht uns niederwärts:

Im Bacchanal das höchste Seinserheben!

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Ökonomie des Lebens

 

Einst dacht’ ich, dieses Lebens Freuden, Lüste,

Könnt’ man nicht früh und schnell genug genießen,

Des Glückes Strom könnt’ rasch genug nicht fließen,

Und jedem Wunsch man gleich willfahren müßte.

 

Heut’ ward ich klüger schon, daß ich nicht wüßte,

Das Glück, das uns bestimmt, muß langsam sprießen,

Soll nicht alsbald das Dasein uns verdrießen,

Weil leer und ausgeschöpft Fortunas Brüste.

 

Was ein Jahr dir versagt, erhoff’s vom andern,

Doch wünsche nie, mit eins dich auszuleben;

Du hast noch einen langen Weg zu wandern!

 

Nichts bringt das Leben mehr, das dich erfreue,

Wenn’s schon am Jüngling ganz sich ausgegeben:

Denn Freude beut uns ewig nur das Neue.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Breite, Tiefe, Höhe.

 

Die Breite spricht: Ich bin das bunte Leben,

Der Maja Kleid mit tausend-tausend Falten;

Mich mußt du schaun und stets im Sinn behalten,

Ich kann allein dem Geiste Reichtum geben.

 

Die Tiefespricht: Ich bin der Wahrheit Weben,

Nur ich versteh’ der Mächte tiefstes Walten

Die Schwester zeigt nur schwindende Gestalten,

Ich lehr’ allein die wahren Schätze heben.

 

Die Höhe spricht: Ich bin der Gottheit Wesen!

Zu heil’gem Jauchzen müßt’ bei mir genesen

Wer selbst der Schwestern trautem Paar entflöhe.

 

Der Dichter spricht: Bereich’e mich, o Breite!

Vergröß’re, Tiefe, mich! doch aufwärts leite

Und licht- und geistesheimwärts mich, o Höhe!

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Zweifacher Standpunkt

 

Warum ich oft in, was ich schreib und dichte,

Gen Menschheit schleudre meines Zornes Blitze,

Doch lebend keinem gern die Haut nur ritze,

Ja manchen Fehl zu milden Herzens richte?

 

Kehrt nicht der Priester, Gott im Angesichte,

Gen seine scharen seiner Predigt Spitze?

Und steigt er nieder von dem hohen Sitze,

Ist’s nicht der Mensch, der tröstende, der schlichte?

 

So muß der Künstler auch die Waffen kehren

Gen Finsternis und Wahnsinn und Verschuldung,

Soll er als Priester Gottes Wort uns lehren.

 

Doch legt er nieder Meißel, Griffel, Feder,

Dann spricht der Mensch zu Menschen voller Duldung,

Der selber er bedarf und sie und jeder!